• WMAT-Vorstandstreffen 2022

Interviews mit dem WMAT-Vorstand (2022-2023)

Die Obfrauen – das Führungsduo

Zum ersten Mal in der Geschichte des Vereins teilen sich zwei Frauen die Doppelspitze bei Wikimedia Österreich (WMAT): Unsere langjährige Obfrau, die Anwältin Ulli Zeller, wurde im Amt bestätigt und neu im Vorstand ist seit heuer die Community-Expertin Sonja Fischbauer als stellvertretende Obfrau.

Als Fachfrau für IP- und Urheberrecht, Datenschutz, Medienrecht und Persönlichkeitsschutz bringt Ulli Zeller insbesondere die juristische Perspektive in die Vorstandsarbeit ein. Sie ist Mitglied der Expert*innengruppe für Organisationsentwicklung und daneben auch für die Personalagenden zuständig.

Organisationsentwicklung ist auch ein Spezialgebiet für Sonja Fischbauer: Hauptberuflich wirkt sie in diesem Bereich bei der Open Knowledge Deutschland, einer wichtigen Partnerorganisation im Bereich des Freien Wissens im deutschsprachigen Raum. Sonja bringt jahrelange Erfahrung mit und zahlreiche Kontakte zu gleichgesinnten Communities, mit einem besonderen Fokus auf Open Source und Technik.

Ulli Zeller

Was macht ein Ehrenamt für Wikimedia Österreich für euch attraktiv und spannend?

Ulli: Kurz gesagt: Weil ich finde, dass man*frau die Gesellschaft, in der wir leben, aktiv mitgestalten sollte. An der Tätigkeit für Wikimedia Österreich reizt mich vor allem der Gedanke, einen Beitrag für eine Idee zu leisten, von der wir alle profitieren: Die Möglichkeit, freien Zugang zu Wissen zu haben und damit selbständig – weil informiert – nachdenken und handeln zu können. Dass ich dabei – aufgrund der gemeinsamen Idee – auch mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt komme, zu denen ich in meiner Alltagsblase kaum Berührungspunkte hätte, macht das Ganze umso spannender.

Sonja: Wikimedia Österreich ist ein großartiger Verein mit einer starken Community und lieben Leuten. Ich bin immer wieder begeistert von der Strahlkraft, die der Verein hat. Neben dem riesigen Beitrag zu Freiem Wissen bietet WMAT auch die Infrastruktur für viele gleichgesinnte Communities, z.B. aus der Netzpolitik und der Open Source Szene in Österreich. Ich bin sehr dankbar, dass es WMAT gibt. Da gebe ich natürlich gerne mein Bestes. Seit knapp einem Jahrzehnt arbeite ich mit ehrenamtlichen Communities – fast immer in der Rolle der Hauptamtlichen. Nun bin ich in meinem eigenen Ehrenamt an einer neuralgischen Position. Ich bin sehr neugierig, was ich aus diesem Perspektivenwechsel lernen werde.

Welche Ziele habt ihr euch für die kommende Amtsperiode gesetzt?

Ulli: Ich würde in den kommenden beiden Jahren einerseits gerne unsere Organisationsstruktur insoweit stärken, als dass diese für aktuelle Herausforderungen möglichst “krisensicher” ist. Das betrifft nicht nur die strukturellen und persönlichen Herausforderungen bei den nun vermehrten Hybrid- und Online-Veranstaltungen oder die Zusammenarbeit mit neuen Partner*innen, sondern auch eine möglichst resiliente Struktur im Verein, die es erlaubt, dass neue Interessierte (z.B. an der Vorstandsarbeit oder anderen Bezugsgruppen) gut andocken können.

Andererseits freue ich mich darauf, unsere Kooperation mit Partner-Organisationen und gleichgesinnten Communities zu stärken und auszubauen, frei nach dem inzwischen viel zitierten Motto “Gemeinsam schaffen wir das!”.

Sonja Fischbauer (Manfred Werner, CC BY-SA 4.0)

Sonja: Ich habe drei Ziele:
Ein Ziel für den Vorstand: Wir haben ein tolles Vorstandsteam, und ich schätze meine Kolleg*innen sehr – alle bringen unterschiedliche Expertisen mit. Mein Ziel ist, an strategischer Planung und Organisationsentwicklung zu arbeiten. Ich werde ein Auge auf Prozesse haben: herausfinden, was sich verbessern lässt, damit es für alle leichter wird. Gern vertrete ich den Verein auch im internationalen Movement.

Ein Ziel für die Community: Ich möchte noch mehr Menschen aus dem Wikiversum, und speziell der deutschsprachigen Community kennenlernen. Zahlreiche Vorstandskolleg*innen sind qualifizierter für die Neulingsgewinnung und Community-Betreuung als ich, doch ich werde unterstützen wo ich kann: Ich will mehr über die Leute erfahren, denen ich als Teil des Vereins diene.

Und ein Meta-Ziel: Ich bin ein Nerd für Dokumentation und strukturierte Abläufe. (Kein Wunder, dass ich bei diesem Verein gelandet bin…) Ein latentes Ziel von mir ist daher, mich ersetzbar zu machen: dass meine Arbeit als Vorstandsmitglied nachvollziehbar und transparent ist, und damit nachhaltig hilfreich bleibt.

Was ist euer liebstes Fun Fact über das Wikiversum im Allgemeinen oder die Wikipedia im Speziellen?

Ulli: Die Wikimedia-Plattform(en) werden immer wieder auch in juristischen Diskussionen als Paradebeispiel für gelungene Entwicklung, Akzeptanz und v.a. Durchsetzung von Regelwerken durch eine Community angeführt, die einen gewissen Kontrapunkt zu den Top-Down-Regelungen bilden, mit denen wir sonst meistens konfrontiert sind. Dieses Bekenntnis der Community bzw. der einzelnen Beitragenden dazu, nicht nur Inhalte beizusteuern, sondern auf sich gegenseitig und die Idee hinter den Projekten zu achten, finde ich faszinierend. Das ist zwar vielleicht nicht gerade ein “Fun Fact” im klassischen Sinn, lässt mich aber auch immer wieder staunen. Und Jurist*innen wird ja ohnehin ein sehr eigener Humor nachgesagt .. 😉

Sonja: Mein Liebling ist die Cuteness Association, die niedlichste Nische im Wikiversum: Eine Mitgliedsorganisation von niedlichen Plüschtieren, die ihre menschlichen Besitzer*innen auf Wikimedia Veranstaltungen begleiten. Die Cuteness Association hat ihr eigenes Logo, eine eigene Wiki-Seite und ist offen für alle, die dabei sein wollen. Auch ich habe ein flauschiges Mitglied der Cuteness Association zuhause, das mich auf Konferenzen begleitet. https://meta.wikimedia.org/wiki/Wikimedia_Cuteness_Association

Die Kassiere – wenn Zahlen Geschichten erzählen

Neu im Amt und im Vorstand sind unsere beiden Kassiere Robert Kuntner und sein Stellvertreter Tobias Schönberg. Beide sind echte Zahlenflüsterer – sperrige Zahlen und Daten werden in ihren Händen zu interessanten Geschichten und Einsichten, Berührungsängste mit Tabellen und Zahlenkolonnen haben so kaum eine Chance.

Robert ist Finanzmanager und -berater aus Leidenschaft, mit fundierter Expertise im Non-Profit-Sektor sowie im Bereich öffentlicher Förderungen. Zahlen Sinn und Gehalt zu geben und so alle Bezugsgruppen im Verein in die Lage zu versetzen, auf dieser Basis die richtigen Handlungen zu setzen, ist seine Spezialität.

Tobias ist ausgebildeter Geologe und ist derzeit als Programmierer tätig. Er ist seit vielen Jahren als ehrenamtliches Community-Mitglied auf verschiedenen Wikimedia-Projekten aktiv. Sein besonderes Interesse gilt Wikidata als zukunftsträchtiger Möglichkeit Freies Wissen aufzubereiten und als Mentor Neulinge für die Magie offener Daten zu begeistern.

Robert Kuntner (Foto: Daniel Hinterramskogler)

Welche Rolle spielen für euch Zahlen und Daten in Bezug auf Freies Wissen?

Robert: Zahlen und Daten haben keinen Selbstwert, sondern betreffen Menschen. Deshalb liegt bei der Veröffentlichung von Zahlen und Daten und deren Interpretation besonders im Rahmen von Freiem Wissen eine hohe Verantwortung. Für mich ist es selbstverständlich, den Menschen einzubeziehen und somit Zahlen einen Sinngehalt zu geben.

Tobias: Offene Daten ergänzen die “offene Prosa” von Wikipedia und bieten durch ihre Kombinierbarkeit unendliche Möglichkeiten zur Weiterverwendung. Besonders spannend ist, dass maschinelle Übersetzungen offener Daten leicht in anderen Sprachen verfügbar gemacht werden können. So sind wenigstens Fakten für alle lesbar, auch wenn es vielleicht in der Sprache keinen Eintrag der der Sprach-Version der Wikipedia gibt.

Was macht für euch das Ehrenamt bei Wikimedia Österreich attraktiv und spannend?

Robert: Für mich ist die Mitwirkung bei Wikimedia Österreich mein persönlicher Sinnanruf. Gerne stelle ich meine Finanzexpertise in einem mir möglichen Ausmaß für die wertvolle Arbeit der Wikimedianer*innen zu Verfügung.

Tobias: Wikimedia Österreich ist zwar ein kleiner Verein, ist aber weltweit vernetzt und immer an interessanten Projekten beteiligt. Die ehrenamtliche Tätigkeit ist gut investierte Zeit und man hat immer das Gefühl, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

Tobias Schönberg (Manfred Werner, CC BY-SA 4.0)

Was ist euer liebstes Fun Fact über das Wikiversum im Allgemeinen oder die Wikipedia im Speziellen?

Robert: Transparenz ist ein wichtiger Grundwert der Wikimedia-Bewegung. Daher ist es uns wichtig, diesen Wert auch im Vereinsalltag mit Leben zu füllen und transparent mit unseren Metriken und Budgets umzugehen. Auf unserem Mitgliederwiki geben wir nicht nur unseren Mitgliedern, sondern allen Interessierten Einblicke in unsere Planung und Gebarung, die weit über die rein rechtlichen Erfordernisse hinaus gehen.

Tobias: In letzter Zeit fand ich es interessant, dass Bengali die Sprache mit den 5-meisten Sprechern ist, die Wikipedia in der Sprache aber nur circa 130.000 Artikel hat (die deutschsprachige Wikipedia hat derzeit weit über 2.700.000 Artikel). Man sieht also, dass es noch viel zu tun gibt.

Die Schriftführer – das Gedächtnis der Organisation

Die beiden Schriftführer Beppo Stuhl und Michael Karolzak sind in mehr als einer Hinsicht das Gedächtnis unserer Organisation: Sie sind einerseits verantwortlich für die Dokumentation und Kommunikation der Vorstandsarbeit. Andererseits wirken beide schon seit über 10 Jahren für den Verein in dieser Rolle und tragen somit einiges an historischem Wissen über den Verein mit sich herum.

Beppo Stuhl war hauptberuflich im Non-Profit Bereich tätig und ist ein Wikipedianer der ersten Stunde. Seine Erfahrung in beiden Bereichen lässt er sowohl in die Vorstandsarbeit als auch in die Expert*innengruppen für Partnerschaften und Community einfließen.

Michael Karolzak ist Elektroingenieur und Fachmann für Sicherheitstechnik – seine Leidenschaft für Qualitäts- und Risikomanagement bringt er in die Expert*innengruppe für Organisationsentwicklung ein und unterstützt daneben auch die Expert*innengruppe für Fotografie.

Michael Karolzak (Foto: Asurnipal, edit WMAT, CC BY-SA 4.0)

Was waren für euch die Höhepunkte der Vorstandsarbeit in den vergangenen 10 Jahren?

Beppo: Ich stieß zur Wikipedia im Jahr 2004, als alles noch im Entstehen war. Damals gab es viele Highlights in der Pionierarbeit an der internationalen Online-Enzyklopädie. Wichtig waren für mich die persönlichen Treffen mit Wikipedianer*innen in Österreich, aus denen dann 2008 die Idee entstand, den Verein Wikimedia Österreich zu gründen. Seit damals gibt es die Möglichkeit, die Arbeit der Freiwilligen in Projekten wie Wikipedia, Wikimedia Commons, Wikidata, Wikivoyage oder Wikisource zu unterstützen. Ein Höhepunkt in dieser Entwicklung war im vergangenen Jahrzehnt die Gründung unserer Geschäftsstelle als Anlaufstelle und Treffpunkt für alle, die sich für Freies Wissen engagieren. Für mich persönlich waren auch die Entwicklung von Wiki Loves Monuments zum größten Fotowettbewerb der Welt und die internationalen Events der Wikimania von großer Bedeutung.

Michael: Meine vergangenen zehn Jahre waren sehr spannend bis manchmal auch etwas dramatisch. Positiv war, dass für die meisten Herausforderungen eine gemeinsame Lösung gefunden werden kann. Als Erfahrung mit dem letzten Vorstand zeigt sich auch, dass wir noch ein großes Potenzial bei der Arbeit an einer positiven Fehlerkultur haben. Positive Effekte gibt es in der Beteiligung der Community bei der Weiterentwicklung des österreichischen Wikimedia-Vereins. Nachdem die Freiwilligen schon lange über Planungs- und Ideenwerkstatt-Formate am Fortschritt des Vereins teilnehmen konnten, hat sich die Beteiligung von Expert*innen aus der Community zu verschiedenen Fachthemen in eigenen Gremien als weiterer Fortschritt und derzeitiger Höhepunkt herauskristallisiert.

Beppo Stuhl (Manfred Werner, CC BY-SA 4.0)

Was macht für euch das Ehrenamt bei Wikimedia Österreich attraktiv und spannend?

Beppo: Vieles, was wir in der Wikipedia und im Vorstand von Wikimedia Österreich machen, hat vorher noch niemand so gemacht. Wissenssammlungen gibt es viele, aber die Kombination von freier Bearbeitung der Wissensdarstellung durch viele Menschen und die dadurch entfesselte Schwarmintelligenz mit offenem Zugang und freier Verbreitung scheint in unserem Jahrhundert einzigartig zu sein.

Michael: Es ist spannend und attraktiv, dass unsere Mitglieder und die Freiwilligen der Wikimedia-Projekte einen Einfluss auf die Fortentwicklung der Wikimedia-Bewegung in Österreich und in den internationalen Wikimedia-Organisationen erhalten. Genauso spannend ist es, den Wikimedia-Gedanken vom Freien Wissen in die Gesellschaft zu tragen. Dies ist speziell im persönlichen Umfeld faszinierend, weil viele Menschen das System hinter der Wikipedia nicht kennen und überrascht sind, dass sie über ehrenamtliche Arbeit entsteht.

Was ist euer liebstes Fun Fact über das Wikiversum im Allgemeinen oder die Wikipedia im Speziellen?

Beppo: Ohne Schrift gibt es keine Geschichte. Das muss ich täglich in der Bearbeitung von Wikipedia-Artikeln zur vorgeschichtlichen Zeit erfahren. Zwar gibt es zahlreiche megalithische Bauwerke aus dieser Zeit wie beispielsweise Stonehenge, aber mangels irgendwelcher schriftlicher Überlieferungen kann niemand sagen, wie sie gebaut wurden und wozu sie dienten. Das führt oft zu Diskussionen über „Theoriefindung“ auf den Wikipedia-Seiten. Daher bin ich froh, im Rahmen meiner Tätigkeit als Schriftführer bei Wikimedia Österreich alles schriftlich festhalten zu können. Ob im Kleinen oder im Großen, alles kann man später nachschlagen und auswerten. Während die Vorstandsmitglieder gemeinsam mit meinem Stellvertreter und mir an den Protokollen und Projekten arbeiten, um sie veröffentlichungsreif zu gestalten, schreiben wir (Vereins-)Geschichte.

Michael: Ob es nun ein Fun Fact ist oder nur eine freudige Überraschung. Jedenfalls gelingt es mir immer wieder im Rahmen meines Lehrauftrags, Studierenden, die aus der Schule Vorbehalte gegenüber Wikipedia mitbringen, diese Enzyklopädie als Einstieg in ihre Themen näher zu bringen. Dies zeigt sich besonders bei der Analyse des Quellenapparates  vorlesungsrelevanter Wikipedia-Artikel.

Die Beirätinnen – ein GLAMuröses Team

Ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit bei Wikimedia Österreich ist, den Zugang zu insbesondere gemeinfreien Inhalten aus Galerien, Büchereien, Archiven und Museen zu verbessern. Auf Basis der englischen Begriffe verwenden wir hier gerne das Akronym GLAM als Sammelbegriff für diese Aktivitäten. Ob Fotos, Daten oder Quellen für die Artikelarbeit: Es gibt unzählige Schätze bei Partnerorganisationen im GLAM-Sektor, die Freies Wissen auf den Wikimedia-Projekten bereichern können.

Zur Gestaltung und Begleitung derartiger Partnerschaften stehen in unserem aktuellen Vorstand gleich zwei Expertinnen zur Verfügung: Martina Österreich und Heidrun Rosenberg.

Für Martina ist es bereits die zweite Amtsperiode in dieser Funktion. Die studierte Geologin vermittelt hauptberuflich naturwissenschaftliche Prozesse an eine breite Öffentlichkeit und nutzt diese Erfahrung auch für die Arbeit in der Wikipedia. Darüber hinaus engagiert sie sich seit vielen Jahren in Kooperationsprojekten mit GLAM-Einrichtungen im deutschsprachigen Raum. Neben der Arbeit im Kulturbereich, liegt Martina die Pflege und Motivation der ehrenamtlichen Wikimedia-Communities sehr am Herzen.

Heidrun verstärkt das Vorstandsteam seit letztem Sommer. Als Kunsthistorikerin interessiert sie sich vor allem für das Potenzial der Wikimediaprojekte an der Schnittstelle zwischen Expert*innen- und Laienwissen und bringt sich dazu seit einigen Jahren in der Arbeitsgemeinschaft Kunstwissenschaften und Wikipedia ein. Für Wikimedia Österreich öffnet sie außerdem Türen zu großen GLAM- Organisationen wie dem Belvedere oder dem Museum für angewandte Kunst MAK.

Heidrun Rosenberg (Foto: Manfred Werner, CC BY-SA 4.0)

Welche Bedeutung haben Kultur- und Gedächtnisorganisationen für Freies Wissen und die Wikipedia?

Heidrun: In der Pandemiezeit haben sich Museen und andere Gedächtnisinstitutionen über kostenfreie digitale Formate eine erweiterte Öffentlichkeit geschaffen. Klickzahlen und Interaktionen dokumentierten ein überraschend hohes Interesse von nah und fern, aber auch emotionale Identifikation. Die bisher etablierten Öffentlichkeitskonzepte dieser Institutionen standen plötzlich zur Debatte. Wie öffentlich sind also unsere öffentlichen Häuser? Wieviel Partizipation ist möglich? Ist alles zu sehen, was es zu sehen gibt? Gewähren diese Institutionen das Recht auf Freies Wissen, das auch Bild-Wissen miteinschließt?  Wie frei wird mit Lizenzen umgegangen?

GLAM-Kooperationen als bewährte Foren des Austausches in beide Richtungen kommt hier meiner Ansicht nach eine entscheidende Rolle zu, Öffentlichkeit neu zu denken. Mit zwei Bundesmuseen – dem Belvedere und dem MAK – wie dem Wienmuseum ist Wikimedia Österreich bereits auf gutem Wege.

Martina: Kultur- und Gedächtnisorganisationen sammeln, erschließen und bewahren das nationale und internationale Kulturerbe. Schon in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird jedem das Recht zugesprochen, am kulturellen Leben der Gemeinschaft teilzuhaben. Nicht jeder hat jedoch die Möglichkeit sich Kunstwerke vor Ort anzuschauen oder in Archiven zu recherchieren. Daher sind digitale Angebote von Kultur- und Gedächtnisorganisationen unter Freien Lizenzen ein wesentlicher Bestandteil für die Wissensvermittlung in Schulen und an Universitäten sowie ein wichtiger Baustein für das Lebenslange Lernen.

Die unschätzbaren Bestände von Museen und Archiven allen verfügbar zu machen, ist – so wissen wir heute – ein langer Weg: Es müssen rechtliche Rahmen geklärt und viel und ausdauernd Überzeugungs- und Digitalisierungsarbeit geleistet werden. Aber ich bin davon überzeugt, dass das digitalisierte und frei verfügbare Kulturerbe eine wesentliche Quelle der Inspiration und Kreativität zukünftiger Generationen sein wird. Persönlich liegt mir das Immaterielle Kulturerbe ganz besonders am Herzen. Das Wissen um alte Traditionen und beinahe vergessene oder nicht mehr praktizierte Handwerkstechniken zu bewahren und es in die heutige Zeit zu transportieren ist für mich Ansporn in meiner ehrenamtlichen Wikipedia / Wikimedia-Arbeit.

Martina Oesterreich

Welche Ziele habt ihr euch für die kommende Amtsperiode gesetzt?

Martina: Wikimedia Österreich arbeitet vor allem projektorientiert und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle unterstützen die hiesige Community mit großer Leidenschaft und viel kreativen Ideen – und das alles mit begrenzten personellen (und finanziellen) Ressourcen. Man spürt die Wertschätzung für die Arbeit der Ehrenamtlichen und es macht großen Spaß zusammen neue Projekte und Kooperationen zu planen und durchzuführen. Häufig erhält man dabei Einblicke GLAM-Institutionen, die einem normalen Besucher verwehrt sind, für mich der schönste Lohn für mein ehrenamtliches Engagement und Ansporn und oft Inspiration für neue Projektideen.

Heidrun: Die geopolitische Lage im Zentrum eines Europas mit kolonialen Vergangenheiten spiegelt sich in den überaus reichen und vielfältigen Beständen, die in Gedächtnisinstitutionen dieses Landes bewahrt werden. Es ist für mich eine sehr sinnvolle Aufgabe, an einer Organisation mitzuarbeiten, deren Anliegen es ist, allen und insbesondere allen jenen Teilhabe zu ermöglichen, von deren Geschichte diese Gedächtnisinstitutionen erzählen können. Sehr gerne möchte ich daher die Geschäftsstelle bei ihren laufenden und zukünftigen GLAM-Projekten unterstützen. Mein besonderes Anliegen ist es, ein Bewusstsein für visuelle Gerechtigkeit zu schaffen. Nach dem Grundsatz, was gemeinfrei ist, muss auch gemeinfrei bleiben,  hat die EU-Urheberrechtsreform 2021 neue Rahmenbedingungen geschaffen; Urheberrechtsreform_2021.pdf  Hier gibt es noch viel zu tun.

Was ist euer liebstes Fun Fact über das Wikiversum im Allgemeinen oder die Wikipedia im Speziellen?

Martina: An der Wikipedia arbeitet man zu Hause oder in der Bibliothek meist allein. Kommuniziert wird mit Menschen mit den seltsamsten Nicknames. Die traditionellen Treffen der Wikipedianer*innen im Real Life heißen „Stammtische“. Irgendwie klingt das ziemlich piefig, nach verqualmten Hinterzimmern, eingeschworenen Zirkeln. Dabei habe ich ausgerechnet hier liebevolle, interessante und kluge Menschen kennengelernt. Kurios, dass ich ausgerechnet bei meinem allerersten Stammtisch meines Lebens vor 11 Jahren meinen Mann kennengelernt habe. Fun & Fact!

Heidrun: Diderot´s Team wäre neidisch gewesen. Noch nie zuvor hat es ein Medium gegeben, das den gleichzeitigen Zugriff auf Bild und Text so leicht gemacht hat. Auf diese Weise entstehen nun auch neue enzyklopädische Artikel – Formate, wie beispielsweise monographische Artikel zu einzelnen Kunstwerken. Sie ersetzen ein analoges Format, das ökonomisch kaum mehr zu leisten ist: den gedruckten Artikel zu einzelnen Kunstwerken mit weiterführender Literatur in Bestands- oder Ausstellungskatalogen. Aber sehen sie selbst : Der Frühling (Manet) – Wikipedia. Eine wichtige Voraussetzung für einen solchen Artikel ist jedoch eine freie Lizenzierung des Bilddigitalisates.