Interviews mit dem WMAT-Vorstand: Die Beirätinnen – ein GLAMuröses Team

Ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit bei Wikimedia Österreich ist, den Zugang zu insbesondere gemeinfreien Inhalten aus Galerien, Büchereien, Archiven und Museen zu verbessern. Auf Basis der englischen Begriffe verwenden wir hier gerne das Akronym GLAM als Sammelbegriff für diese Aktivitäten. Ob Fotos, Daten oder Quellen für die Artikelarbeit: Es gibt unzählige Schätze bei Partnerorganisationen im GLAM-Sektor, die Freies Wissen auf den Wikimedia-Projekten bereichern können.

Zur Gestaltung und Begleitung derartiger Partnerschaften stehen in unserem aktuellen Vorstand gleich zwei Expertinnen zur Verfügung: Martina Österreich und Heidrun Rosenberg.

Martina Oesterreich PortraitBild: Martina Oesterreich

Für Martina ist es bereits die zweite Amtsperiode in dieser Funktion. Die studierte Geologin vermittelt hauptberuflich naturwissenschaftliche Prozesse an eine breite Öffentlichkeit und nutzt diese Erfahrung auch für die Arbeit in der Wikipedia. Darüber hinaus engagiert sie sich seit vielen Jahren in Kooperationsprojekten mit GLAM-Einrichtungen im deutschsprachigen Raum. Neben der Arbeit im Kulturbereich, liegt Martina die Pflege und Motivation der ehrenamtlichen Wikimedia-Communities sehr am Herzen.

Heidrun verstärkt das Vorstandsteam seit letztem Sommer. Als Kunsthistorikerin interessiert sie sich vor allem für das Potenzial der Wikimediaprojekte an der Schnittstelle zwischen Expert*innen- und Laienwissen und bringt sich dazu seit einigen Jahren in der Arbeitsgemeinschaft Kunstwissenschaften und Wikipedia ein. Für Wikimedia Österreich öffnet sie außerdem Türen zu großen GLAM- Organisationen wie dem Belvedere oder dem Museum für angewandte Kunst MAK.

Heidrun RosenbergBild: Heidrun Rosenberg

Welche Bedeutung haben Kultur- und Gedächtnisorganisationen für Freies Wissen und die Wikipedia?

Heidrun: In der Pandemiezeit haben sich Museen und andere Gedächtnisinstitutionen über kostenfreie digitale Formate eine erweiterte Öffentlichkeit geschaffen. Klickzahlen und Interaktionen dokumentierten ein überraschend hohes Interesse von nah und fern, aber auch emotionale Identifikation. Die bisher etablierten Öffentlichkeitskonzepte dieser Institutionen standen plötzlich zur Debatte. Wie öffentlich sind also unsere öffentlichen Häuser? Wieviel Partizipation ist möglich? Ist alles zu sehen, was es zu sehen gibt? Gewähren diese Institutionen das Recht auf Freies Wissen, das auch Bild-Wissen miteinschließt? Wie frei wird mit Lizenzen umgegangen?

GLAM-Kooperationen als bewährte Foren des Austausches in beide Richtungen kommt hier meiner Ansicht nach eine entscheidende Rolle zu, Öffentlichkeit neu zu denken. Mit zwei Bundesmuseen – dem Belvedere und dem MAK – wie dem Wienmuseum ist Wikimedia Österreich bereits auf gutem Wege.

Martina: Kultur- und Gedächtnisorganisationen sammeln, erschließen und bewahren das nationale und internationale Kulturerbe. Schon in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird jedem das Recht zugesprochen, am kulturellen Leben der Gemeinschaft teilzuhaben. Nicht jeder hat jedoch die Möglichkeit sich Kunstwerke vor Ort anzuschauen oder in Archiven zu recherchieren. Daher sind digitale Angebote von Kultur- und Gedächtnisorganisationen unter Freien Lizenzen ein wesentlicher Bestandteil für die Wissensvermittlung in Schulen und an Universitäten sowie ein wichtiger Baustein für das Lebenslange Lernen.

Die unschätzbaren Bestände von Museen und Archiven allen verfügbar zu machen, ist – so wissen wir heute – ein langer Weg: Es müssen rechtliche Rahmen geklärt und viel und ausdauernd Überzeugungs- und Digitalisierungsarbeit geleistet werden. Aber ich bin davon überzeugt, dass das digitalisierte und frei verfügbare Kulturerbe eine wesentliche Quelle der Inspiration und Kreativität zukünftiger Generationen sein wird. Persönlich liegt mir das Immaterielle Kulturerbe ganz besonders am Herzen. Das Wissen um alte Traditionen und beinahe vergessene oder nicht mehr praktizierte Handwerkstechniken zu bewahren und es in die heutige Zeit zu transportieren ist für mich Ansporn in meiner ehrenamtlichen Wikipedia / Wikimedia-Arbeit.

Welche Ziele habt ihr euch für die kommende Amtsperiode gesetzt?

Martina OesterreichBild: Martina Oesterreich

Martina: Wikimedia Österreich arbeitet vor allem projektorientiert und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle unterstützen die hiesige Community mit großer Leidenschaft und viel kreativen Ideen – und das alles mit begrenzten personellen (und finanziellen) Ressourcen. Man spürt die Wertschätzung für die Arbeit der Ehrenamtlichen und es macht großen Spaß zusammen neue Projekte und Kooperationen zu planen und durchzuführen. Häufig erhält man dabei Einblicke GLAM-Institutionen, die einem normalen Besucher verwehrt sind, für mich der schönste Lohn für mein ehrenamtliches Engagement und Ansporn und oft Inspiration für neue Projektideen.

Heidrun: Die geopolitische Lage im Zentrum eines Europas mit kolonialen Vergangenheiten spiegelt sich in den überaus reichen und vielfältigen Beständen, die in Gedächtnisinstitutionen dieses Landes bewahrt werden. Es ist für mich eine sehr sinnvolle Aufgabe, an einer Organisation mitzuarbeiten, deren Anliegen es ist, allen und insbesondere allen jenen Teilhabe zu ermöglichen, von deren Geschichte diese Gedächtnisinstitutionen erzählen können.

Sehr gerne möchte ich daher die Geschäftsstelle bei ihren laufenden und zukünftigen GLAM-Projekten unterstützen. Mein besonderes Anliegen ist es, ein Bewusstsein für visuelle Gerechtigkeit zu schaffen. Nach dem Grundsatz, was gemeinfrei ist, muss auch gemeinfrei bleiben, hat die EU-Urheberrechtsreform 2021 neue Rahmenbedingungen geschaffen: Urheberrechtsreform_2021.pdf Hier gibt es noch viel zu tun.

Was ist euer liebstes Fun Fact über das Wikiversum im Allgemeinen oder die Wikipedia im Speziellen?

Martina: An der Wikipedia arbeitet man zu Hause oder in der Bibliothek meist allein. Kommuniziert wird mit Menschen mit den seltsamsten Nicknames. Die traditionellen Treffen der Wikipedianer*innen im Real Life heißen „Stammtische. Irgendwie klingt das ziemlich piefig, nach verqualmten Hinterzimmern, eingeschworenen Zirkeln. Dabei habe ich ausgerechnet hier liebevolle, interessante und kluge Menschen kennengelernt. Kurios, dass ich ausgerechnet bei meinem allerersten Stammtisch meines Lebens vor 11 Jahren meinen Mann kennengelernt habe. Fun & Fact!

Heidrun: Diderot’s Team wäre neidisch gewesen. Noch nie zuvor hat es ein Medium gegeben, das den gleichzeitigen Zugriff auf Bild und Text so leicht gemacht hat. Auf diese Weise entstehen nun auch neue enzyklopädische Artikel – Formate, wie beispielsweise monographische Artikel zu einzelnen Kunstwerken. Sie ersetzen ein analoges Format, das ökonomisch kaum mehr zu leisten ist: den gedruckten Artikel zu einzelnen Kunstwerken mit weiterführender Literatur in Bestands- oder Ausstellungskatalogen. Aber sehen sie selbst: Der Frühling (Manet) – Wikipedia. Eine wichtige Voraussetzung für einen solchen Artikel ist jedoch eine freie Lizenzierung des Bilddigitalisates.