Interview: Roland Fischer

Roland Fischer

Religionsprofessor und Schul-Homepage-Webmaster
Akademisches Gymnasium Graz

Freund, Feind oder einfach zwei Welten, die mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick wahrnimmt? Was verbindet eine renommierte Bildungseinrichtung wie das Akademische Gymnasium in Graz mit dem vergleichsweise jungen, unkon­ventionellen Online-Netzwerk hinter der Wikipedia? Die Vermittlung von Wissen ist der kleinste gemeinsame Nenner – doch welche Rolle kann und darf die Wikipedia im Schulalltag spielen und welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich daraus? Gemeinsam mit den Wikipedia-Autoren Heinz Egger und Karl Gruber führt Roland Fischer Workshops an seiner Schule durch, die Antworten auf diese Fragen geben, und wurde selber mit dem Wikipedia-Fieber infiziert.

Inwiefern hat unsere gemeinsame Arbeit Ihren Blick auf die Wikipedia verändert?

Ich möchte zunächst ein bisschen ausholen, wie ich persönlich dazu gekommen bin, mich überhaupt an Wikimedia-Projekten zu beteiligen. Anfang 2012 habe ich zufällig entdeckt, dass es einen Wikipedia-Artikel über meinen Vater Karl Fischer gibt. Dort wurden über weite Strecken die wesentlichen Teile seiner Biografie richtig dargestellt. Ich war sehr erfreut darüber, weil ich selbst schon den Wunsch hatte, einen solchen Wikipedia-Artikel selbst zu verfassen. Ich hatte nur keine Ahnung, wie man so etwas macht.

Da ich selbst viel über die Lebensgeschichte meines Vaters geforscht habe, habe ich mir gedacht, es wäre doch passend, wenn in diesem Artikel auch einige Fotos meines Vaters aus meinem Privatbesitz drin wären. Ich habe mich kurz eingelesen und mich noch am selben Tag mit meinem jetzigen Benutzernamen bei Wikipedia (und damit auch bei Wikimedia Coomons) angemeldet. Natürlich noch ohne zu wissen, ob ich das richtig mache, habe ich drei analoge Aufnahmen meines Vaters eingescannt und diese dann auf Wikimedia Commons hochgeladen – noch ohne die richtigen Dateibeschreibungen, ich habe es einfach gemacht. Mit Hilfe der Anleitungen, die ich gefunden habe, habe ich die Bilder in den Artikel eingebunden. Das passierte alles an einem Tag und ich war irgendwie sehr stolz auf mich, dass ich das geschafft hatte.

Es war mir dann anschließend auch möglich, zum Erstautor des Artikels Kontakt aufzunehmen. Ich habe mich ihm vorgestellt und ihm angeboten, ihm beim weiteren Ausbau – durch meine ganz persönlichen Informationen – behilflich zu sein. Ich habe ihm diese Informationen übermittelt und er hat das dann für mich gemacht. Langsam habe ich damit angefangen, selbst einmal dort oder da in verschiedenen Artikeln ein Wort zu ändern oder Sätze umzustellen. Ein paar Monate später habe ich mich erstmals getraut, einen neuen Artikel zu verfassen, und zwar über meine Großmutter Maria Fischer, und diesen auch online zu stellen. Offensichtlich war das Thema relevant genug und der Artikel ist nicht gelöscht worden. Ich war sehr glücklich und dankbar und habe anschließend damit weitergemacht, weitere kleinere Artikel beizutragen.

Im Zusammenhang mit einem dieser Artikel schrieb mir Heinz Egger, stellte mir ein paar Fragen und sagte, ich kann ihn anrufen. Das habe ich dann auch gemacht. Ich habe sofort gemerkt, das hilft mir ungemein. Ich war ja bis dahin sehr selbstständig unterwegs. Heinz hat mir sofort Unterstützung zugesagt und hat mir dann auch, für mich völlig überraschend, meinen ersten Wikipedia-Orden verliehen. Diese persönliche Bekanntschaft hat meine eigene Arbeit und meinen Blick auf Wikipedia maßgeblich verändert. Ich habe gemerkt, dass es ein ganz wesentliches Element sein kann, andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter persönlich zu kennen, sie um Rat fragen zu können und ein bisschen mehr über einander Bescheid zu wissen. Deshalb war ich auch bei einigen Wikipedia-Treffen dabei und habe andere Autorinnen und Autoren persönlich kennengelernt.

Meine Sicht auf Wikipedia hat sich in der Zwischenzeit insofern gewandelt, als ich nun aus eigener Erfahrung weiß, was an Arbeit und Eigenengagement so vieler Leute dahintersteht, dass die Wikipedia so ist wie sie ist und dass sie sich weiterentwickelt. Ich habe auch erfahren, dass es nicht unbedingt von Nachteil sein muss, wenn jemand anderer an einer von mir begonnenen Arbeit weiterarbeitet oder etwas zur Verbesserung beiträgt. Auch wenn etwas in einem Artikel zur Diskussion steht, muss das nichts Negatives sein, sondern das Bemühen etwas weiterzuentwickeln. Manchmal gibt es natürlich auch destruktive Situationen, aber dann muss man das eine vom anderen unterscheiden. Außerdem bin ich natürlich ein viel kritischerer Leser der Wikipedia geworden. Ich gebe mich nicht immer mit allem zufrieden, so wie es ist, sondern ich versuche auch selbst, wenn ich mich für kompetent genug halte, mich einzumischen, und überlege, was man etwas besser machen könnte.

Welche Ihrer Erfahrungen waren bei Ihrer Entscheidung wichtig, den Umgang mit Wikipedia in den Schulalltag zu integrieren?

Das war eigentlich nicht meine Idee. Heinz Egger hat mir vorgeschlagen, er wäre bereit, in „meine“ Schule zu kommen und uns das Projekt vorzustellen. Dass Karl Gruber auch noch mitgekommen ist, war sehr positiv. Wir haben uns gemeinsam in Gesprächen überlegt, wie das ablaufen könnte und haben das Projekt meiner Direktorin vorgestellt. Sie meinte, das wäre einmal etwas ganz Neues und wir könnten es gerne einmal probieren.

Wir haben das im Rahmen des Deutschunterrichts gemacht. Das Projekt hat bei den Betroffenen sehr positiven Nachhall gefunden, sowohl bei den Schülerinnen und Schülern als auch bei den Deutschlehrern. Vor wenigen Wochen habe ich von einer heurigen Maturantin, die letztes Jahr in der 7. Klasse bei einem unserer Wikipedia-Workshops dabei war, erfahren, dass sie sich vor kurzem im Rahmen einer Deutschschularbeit in einer Aufgabenstellung damit befassen musste, wie man einen Wikipedia-Artikel verfasst. Auch die Sicht meiner Schülerinnen und Schüler auf die Wikipedia insgesamt hat sich positiv ausgewirkt. Ich lasse sie auch weiterhin an meiner eigenen Wikipedia-Tätigkeit partizipieren, die Schülerinnen und Schüler wissen davon und haben in mir einen konkreten Ansprechpartner.

Ich habe in weiterer Folge auch den Wikipedia-Artikel über meine Schule massiv ausgebaut. Das hat sich mehrfach positiv ausgewirkt. Meine Direktorin hat mich gefragt, ob ich bereit wäre, mich als Webmaster für unsere Schul-Website zur Verfügung zu stellen. Bei meiner Zusage war mir bereits bewusst, welches Fenster nach außen Wikipedia für eine Schule sein kann, was dann auch für eine Schul-Website gilt. Wie mache ich etwas möglichst interessant, transparent und umfassend für die Leserin und den Leser? Vielleicht auch vor diesem Hintergrund haben sich die Anmeldezahlen an unserer Schule seither sehr zum Positiven entwickelt.

Die letztjährigen Siebtklässler standen vor dem Problem, sich auf die für die neue Zentralmatura zu verfassende „Vorwissenschaftliche Arbeit“ (VWA) vorzubereiten. Wir haben ein eigenes Skriptum dazu erstellt, damit die wissenschaftliche Zitationsweise bei uns an der Schule einheitlich ist. Darin stand auch die Vorgabe, dass Wikipedia selbst nicht zitiert werden darf. Das liegt daran, dass verschiedene – im Grunde genommen anonyme – Autoren an den Texten arbeiten, wodurch die Wikipedia nicht auf eine im wissenschaftlichen Bereich übliche Weise zitierbar ist. Ich konnte den Schülerinnen und Schülern dann aber im Rahmen eines VWA-Vorbereitungsworkshops zeigen, wie sie für ihre „Vorwissenschaftliche Arbeit“ sehr wohl auf Wikipedia und Wikimedia Commons zurückgreifen können. Sie dürfen zwar nicht die Wikipedia-Texte selbst zitieren, können aber alle Literaturangaben und Einzelnachweise verwenden. Und natürlich auch die auf Commons verfügbaren Dateien (Bilder etc.) mit entsprechender Zitation.

In meinem eigenen Unterricht als katholischer Religionslehrer verwende ich seit einiger Zeit auch vorhandenes Wissen aus der Wikipedia und vorhandene Materialien aus Wikimedia Commons. Ein Teil des Lehrstoffs in der Oberstufe ist z.B. die Entwicklung kirchlicher Baustile durch die Jahrhunderte. Ich habe für meinen Unterricht verschiedene Bilder für entsprechende typische Bauwerke aus der Steiermark zusammengestellt. Wir dürfen die Bilder aus Wikimedia Commons verwenden, warum sollten wir das also im Schulunterricht nicht tun? Dadurch konnte ich gleichsam die gesamte Steiermark zu uns in die Schule hereinholen!

Haben den Schülerinnen und Schülern die Wikipedia-Workshops dabei geholfen, besser mit der Wikipedia umzugehen?

Sie haben auf jeden Fall viel vorangebracht. Wenn man davon ausgeht, dass Leute nun selbst auf die Idee kommen, sich aktiv in der Wikipedia (oder in Partner-Projekten wie z.B. regiowiki.at) zu betätigen, sich anzumelden und anfangen zu schreiben, dann kann ich dazu keine konkreten Zahlen, was neue User betrifft, vorweisen. Ich weiß von einigen Jugendlichen konkret, dass sie sich angemeldet haben, aber ich weiß nicht, was die einzelnen Leute dort machen. Es sind auf jeden Fall einige, weil ich dann und wann auch konkret um Rat oder Unterstützung gefragt werde.

Wir haben bei uns in der Oberstufe ein modulares Kurssystem. Wenn ich einmal die Zeit und die Ressourcen habe, könnte ich vielleicht auch im Rahmen dessen einen eigenen Wikipedia-Kurs anbieten. Diese Idee habe ich im Hinterkopf.

Unabhängig davon, sich einmal selbst als Autorin oder Autor zu betätigen, haben die Schülerinnen und Schüler nun allgemein ein besseres Verständnis über die Mechanismen hinter der Wikipedia?

Ich sehe es bei meinem eigenen Sohn, der einen Wikipedia-Workshop von Heinz und Karl besucht und eine „Vorwissenschaftliche Arbeit“ zu verfassen hatte. Er wusste, wie er mit Wissen, das er in der Wikipedia findet, umgehen kann. Ich weiß auch von anderen Jugendlichen, dass sie die Wikipedia jetzt differenzierter sehen können und verwenden.

In allen Wikipedia-Workshops stellte Heinz am Anfang die Frage nach der Häufigkeit der Verwendung der Wikipedia. Kaum jemand verwendete sie höchstens einmal im Monat, eher täglich oder zumindest wöchentlich. Wenn diese Jugendlichen so einen Workshop mitgemacht haben, wissen sie, wie Wikipedia-Artikel entstehen und wer daran arbeitet. Das ist ja vorher eigentlich niemandem bewusst, dass es sich um eine Koproduktion vieler Menschen handelt. Das wissen die Schülerinnen und Schüler jetzt. Dadurch ist der Zugang zu und der Umgang mit dieser neuen Art frei zugänglichen Wissens ein anderer geworden.

Ich will auch noch sagen, dass ich persönlich sehr dankbar für alle Erfahrungen rund um alle Wiki-Projekte bin, weil ich selbst insgesamt sehr viel dazugelernt habe. Wikipedia ist für mich nicht nur ein Geben, sondern auch ein Nehmen und Empfangenkönnen – keine Einbahnstraße.