Leiter der Bibliothek des Verfassungsgerichtshofs
Beim Gedanken an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) denken aktuell viele vor allem an die jüngsten Entscheidungen, die dort bzgl der Wiederholung der Bundespräsidentenwahlen getroffen wurden. Bei uns im Wikiversum ist der VfGH aber vor allem auch ein Ort der Vordenker, die ihre für unsere Gesellschaft so wichtige Arbeit zeitgemäß an eine breitere Öffentlichkeit kommunizieren möchten. Dr. Josef Pauser hat daher das Modell des Wikipedian in Residence, das bisher nur von klassischen Gedächtnisorganisationen (Museen, Archiven etc.) praktiziert wurde, für seine Organisation angepasst. Als Ergebnis verbrachte der österreichische Wikipedianer und angehende Jurist Thomas Planinger zwei Monate im VfGH – vermittelte dort sein Know-how rund um Freies Wissen und Wikipedia und teilte seinerseits seine Erfahrungen und Ressourcen rund um den VfGH in der Wikipedia Community.
Herr Dr. Pauser, was macht die Wikipedia zu einem guten Partner für Ihre Arbeit?
Wikipedia ist heutzutage meist die erste Quelle einer Informationsrecherche. Insofern ist es extrem wichtig, dass die dort präsentierten Daten nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ überzeugen. Am Beispiel des Verfassungsgerichtshofes: Die normale Bürgerin/der normale Bürger haben in der Regel kein aktuelles Lehrbuch des österreichischen Verfassungsrechts zu Hause stehen, wo man nachschauen könnte, wenn in den Medien oder im Gespräch ein Bezug zum VfGH hergestellt wird. Also schaut man mittlerweile meist über ein Smartphone schnell im Internet nach und landet vielleicht auf unserer Website, zuallererst aber wohl eher bei der Wikipedia. Die Zugriffsstatistiken anlässlich des allgemein bekannten Bundespräsidentenwahlverfahrens demonstrieren deutlich dieses Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit.
Was waren für Sie die interessantesten Einsichten und Erfahrungen in Ihrer Zusammenarbeit mit Ihrem Wikipedian in Residence?
Sehr beeindruckend war die Erfahrung, dass wir mit unserem Wikipedian in Residence, Thomas Planinger, an jemanden geraten sind, der für die Wikipedia im wahrsten Sinne des Wortes „brennt“. In unserem Projekt musste ich ihn sogar manchmal bremsen, damit wir bei erreichbaren Zielen für unseren vorerst kurzen Projekt-Zeitraum blieben.
Das Projekt selbst ist ja lustigerweise fast aus dem Nichts entstanden und eigentlich hat Thomas Planinger, ohne es zu wissen, da selbst den Anstoß gegeben. Ich kannte zwar die Idee eines „Wikipedian in Residence“ aus dem Bibliotheks- und Archivbereich, hatte eine Transferierung der Idee in ein Höchstgericht aber vorerst gedanklich gar nicht auf dem Schirm. Kollege Planinger hatte als Wirtschaftsrechtsstudent der WU Wien 2014 eine Führung durch unser Haus genossen und als Wikipedianer dann sofort überprüft, ob denn unsere Höchstrichterinnen und -richter einen Eintrag in der Wikipedia hätten. Da dies nicht für alle zutraf, hat er es sich zur Aufgabe gemacht, diese Lücke zu schließen und dies auch nach Vollzug per Twitter und Hashtag #vfgh verkündet.
Ich hatte damals diesen Twittereintrag zufällig gelesen und wohlwollend zur Kenntnis genommen. Heuer hatte ich anfangs des Jahres eine Wikipedia betreffende Frage, erinnerte mich an diese Twittermeldung und konnte den Autor via Wikipedia anmailen. Bei einem persönlichen Gespräch entwickelte sich dann relativ spontan und fast aus dem Bauch heraus die Idee eines Wikipedian in der verfassungsgerichtshöflichen Residence, die auch vom Präsidialdirektor des VfGH sofort unterstützt wurde. Und jetzt kurz vor Abschluss des zweiten Projektmonats kann man schon sagen, dass das ein tolles Projekt war, dass unbedingt … aber lesen Sie dazu die nächste Frage.
Welche langfristigen Effekte versprechen Sie sich von diesem Projekt? Gibt es Pläne für eine längerfristige Zusammenarbeit?
Das Projekt hat schon jetzt schöne Effekte gezeigt und ich gehe davon aus, dass diese weiterwirken. Einerseits hat es die Einstellung mancher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Haus verändert. Man nutzte Wikipedia natürlich, hatte aber keine Vorstellungen, was da im Hintergrund alles passiert. Viele haben mit unserem Wikipedian nicht nur erstmals einen Blick hinter die Kulissen von Wikipedia werfen können, sondern auch gesehen, wie man an eine Bearbeitung herangeht, und damit hoffentlich auch ein wenig die Scheu abbauen können, vielleicht selbst aktiv zu werden. Andererseits hat uns dieses Projekt natürlich geholfen, freie Zugänglichkeit zu vielen, den Gerichtshof betreffenden Informationen für die Allgemeinheit zu schaffen und damit auch unsere Darstellung in der Wikipedia zu verbessern. Längerfristig hoffen wir sehr, dass wir dieses Projekt nächstes Jahr wieder aufnehmen können. Ideen für weitere präsentable Inhalte gibt es zuhauf.
Vielen Lesern der Wikipedia ist nicht bewusst, dass es hinter der Webseite eine Community aus Autoren, Fotografen und Codern gibt oder Wikimedia-Vereine, die diese in ihrer Arbeit unterstützen. Wie würden Sie diesen Leuten die Community und die Zusammenarbeit mit ihr in wenigen Worten beschreiben?
An sich hatte ich davon auch nur rudimentäre Kenntnisse, nun ist der Blick darauf natürlich etwas klarer. Die Zusammenarbeit kann man nur im persönlichen Bereich als überaus freundlich und wertschätzend und im sachlichen als extrem professionell bezeichnen.