Der Klimabericht und die Wikipedia Teil 3: Wissenschaftskommunikation

Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse und ihre Darstellung in der Wikipedia gehen Hand in Hand, würde man zumindest annehmen. Tatsächlich ist es nicht selbstverständlich, dass die Ergebnisse wissenschaftlicher Prozesse automatisch in der Wikipedia landen. Die Wikipedia und ihre Schwesternprojekte bleiben, genauso wie der wissenschaftliche Prozess selbst, Handarbeit. Wir sprechen mit Melanie Bartos von der Universität Innsbruck über Wissensverbreitung in einer Zeit der Tech-Monopole, in der die Macht über unsere Kommunikationskanäle bei sehr wenigen, sehr reichen Menschen konzentriert ist.

Melanie Bartos war außerdem Vortragende am 73. Netzpolitischen Abends zum verwandten Thema Die Rolle Freien Wissens in den Krisen unserer Zeit, an dem auch Wikimedia-Vorstand Bernhard Hayden mitwirkte. Interessierte finden die Radio-Zusammenfassung hier.

Das heutige Interview mit Melanie Bartos ist der dritte und damit letzte Teil unserer Reihe Der Klimabericht und die Wikipedia.

Bild: Universität Innsbruck | All Rights Reserved
Melanie Bartos mit Wikimedian in Residence Tobias.

Was ist deine Position an der Uni Innsbruck und was war deine Rolle beim Klimabericht?

Ich arbeite im Bereich Wissenschaftskommunikation im Kommunikationsteam des Büros für Öffentlichkeitsarbeit der Universität Innsbruck. Mein inhaltlicher Fokus liegt auf den Themen Klima, Biodiversität und Nachhaltigkeit. Beim Österreichischen Sachstandsbericht zum Klimawandel war ich Teil des Kommunikationsteams und habe drei Jahre lang, von der Entstehung bis zur Veröffentlichung, an der Gestaltung und Umsetzung der Kommunikationsaktivitäten mitgearbeitet. Meine Aufgabe bestand dabei unter anderem darin, die Wissenschaftler*innen dabei zu unterstützen, wie der Bericht kommunikativ aufbereitet und verbreitet werden kann.

Was ist Open Science Communication?

Open Science Communication ist der Titel eines Positionspapiers vom April 2024, das als Reaktion auf Entwicklungen im digitalen Raum – wie beispielsweise die Übernahme von Twitter durch Elon Musk – entstanden ist. Es schlägt einen aktiven, bewussten Umgang mit sich verändernden digitalen Strukturen vor, um sich im digitalen Raum souverän, datenschutzfreundlich und open-source-orientiert zu bewegen. Im Kern steht die Bemühung, die Kontrolle über eigene Kommunikationsräume zu erlangen oder zurückzubekommen. Wir sehen uns als öffentliche Institution in einer Vorreiter*innenrolle im Sinne einer  demokratiepolitischen Verantwortung.

Open Science als zu fördernde Bewegung zu verstehen bedeutet, sie auch in der Kommunikation umzusetzen. Konkret wird das auf zwei Ebenen verfolgt: Erstens durch das Fediverse und den Aufbau einer eigenen Mastodon-Instanz für die Universität Innsbruck, die allen Mitarbeiter*innen zugänglich ist. Wir nutzen Mastodon aber nicht nur für unsere eigene Kommunikation, sondern stellen die Infrastruktur dafür auch zur Verfügung. Zweitens soll durch die Zusammenarbeit mit Wikimedia die Wissenschaftskommunikation in offenen Projekten wie der Wikipedia, Wikidata oder Wikimedia Commons gestärkt werden.

Warum ist ein nicht-kommerzieller Ansatz in der Wissenschaftskommunikation wichtig?

Ein nicht-kommerzieller Ansatz ist wichtig, weil datenkapitalistische Plattformen wie X (ehemals Twitter), Meta oder TikTok oft problematische Strukturen mit sich bringen, bei denen wenige Menschen mit viel Geld und Einfluss die volle Kontrolle über große Bereiche der digitalen Kommunikation haben. Aus ihrer kommerziellen Ausrichtung ergibt sich, dass diese Plattformen nicht zur Verfügung gestellt werden, weil die Menschen dahinter so selbstlos sind, sondern weil sie Geld mit unseren Daten verdienen. Auch intransparente Algorithmen und Empfehlungssysteme spielen eine große Rolle. Was wir sehen, können wir nicht oder nur sehr wenig beeinflussen. Diese Empfehlungssysteme prägen unsere digitale Infrastruktur massiv und sind käuflich. Ein kurzer Blick in die USA zeigt, wie problematisch das werden kann. Es ist offensichtlich, was die Kommerzialisierung digitaler Räume mit einer Öffentlichkeit machen kann.

Aus Perspektive der Wissenschaftskommunikation geht es um Gefahren durch die Verbreitung von Verschwörungstheorien und Falschinformationen. Wir sehen, wie sich rechte Parteien und Akteure digital aufgestellt haben und ihre eigenen Kommunikationsuniversen schaffen. Aber es geht nicht immer nur um Falschinfos, sondern auch klar darum, welche Auswahl von Inhalten wem und warum gezeigt wird. Eine einseitige Darstellung von richtigen Informationen schafft auch Bias und wird zum Brandbeschleuniger, wenn es viel Aufregung und Emotionalität um ein Thema gibt. Aufmerksamkeit, die käuflich ist, ist oft weit entfernt von Objektivität.

Historisch betrachtet hat sich digitale Kommunikation stark verändert, auch für die Wissenschaftskommunikation. Wir nutzen die Social Media-Kanäle, können sie aber nicht mehr als lineare Kommunikationskanäle verwenden, weil wir algorithmisch benachteiligt werden. Wir können viele unserer eigenen Follower*innen gar nicht mehr erreichen. Wir generieren viel Content, aber linken oft aus den Plattformen auf unsere Websiten heraus. Das ist sehr “unbeliebt”: Content wird vor allem dann häufiger angezeigt, wenn er Menschen auf den Plattformen hält.

Bist du selbst Wikipedianerin?

Ich habe zwar einen Wikipedia-Account, bin aber nicht aktiv als Autorin tätig. Ich sehe mich eher als Förderin und Lobbyistin für offene Wissensplattformen.

Bild: Rolf Eckel | All Rights Reserved
Melanie Bartos wissenschaftskommuniziert mit ihrem Publikum.

Was macht die Wikipedia für dich als Wissenschaftskommunikatorin interessant?

Wikipedia ist für mich als größte nicht-kommerzielle Wissensplattform mit hoher qualitativer Sicherung ein Best-Practice-Beispiel, wie Wissen heute generiert, gesammelt und verbreitet wird. Sie ist ein wesentlicher Kanal für Wissenschaftskommunikation und spielt auch als Ressource für KI-Modelle eine große Rolle. Ich halte sie für eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste Online-Projekt.

Es gibt unter Wikipedianer*innen die Kritik der institutionellen Beeinflussung der Wikipedia. Universitäten werden hier von der wissenschaftlichen Forschung getrennt – denn diese könnten ja auch nicht-wissenschaftliche Zwecke wie die Selbstwerbung verfolgen. Wie stehst du zu diesem möglichen Widerspruch?

Ich habe viel Verständnis für diese kritische Haltung und finde es wichtig, institutionelle Zusammenarbeit differenziert zu betrachten. Öffentliche Universitäten werden durch Steuergelder finanziert und unser Ansatz ist es, dass daraus generiertes Wissen auch wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden muss. Wikipedia ist dafür ein logischer Partner, ein logisches Team. Wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen beidseitig akzeptiert werden. Die Uni Innsbruck respektiert die Regeln der Wikipedia. Transparenz ist besonders wichtig, wenn Inhalte durch Zusammenarbeit entstanden sind. Auf Hochschulen schlummert noch viel Wissen für die Wikipedia, aber wenn Hochschulen an Autor*innen herantreten, muss das organisatorisch transparent passieren. Ich sehe die Skepsis der Wikipedia-Community als großen Benefit. Dass sie mit Vorsicht an Institutionen herantreten, ist ein Qualitätsmerkmal.

Wir wollen die Universität so öffnen, dass Autor*innen Möglichkeiten vorfinden, auf unser Wissen zuzugreifen. Wir verlangen im Gegenzug nichts, es ist Teil unseres Selbstverständnisses, uns zugänglich zu machen.

Was sind die nächsten Schritte bezüglich Klimabericht?

Der Klimabericht ist ein Großprojekt mit über 50 beteiligten Institutionen, das nicht nur den Ist-Zustand beschreibt, sondern auch Handlungsoptionen für eine klimagerechte Gesellschaft aufzeigt. Der Bericht wird als Standardwerk für die kommenden Jahre dienen. Es gibt bereits eine 40-seitige Zusammenfassung, Podcasts, Videos, Websites und regelmäßige Vortragsveranstaltungen. Wir stehen aber erst am Anfang der möglichen Verbreitung und Nutzung – insbesondere auf regionaler oder Gemeindeebene. Der gesamte Bericht ist mit all seinen Inhalten inklusive aller Grafiken online zugänglich und steht unter CC BY 4.0 zur Verfügung. Die Kooperation mit einem Wikimedian in Residence hat sich als sehr wertvoll erwiesen und zeigt, wie Wissenschaft und Wikipedia erfolgreich zusammenarbeiten können.